Katar-Reise, Teil 2: Aufenthalt in Doha

Sonntag – Anreise

Am Sonntag, den 27. Januar 2019, steige ich in München ins Flugzeug mit zwei Zielen:

  • beobachten, was der FC Bayern in Katar tut, außer zu trainieren
  • Gespräche mit maßgeblichen Personen über die Situation im Land führen

In meinem folgenden Bericht konzentriere ich mich ausschließlich auf diese beiden Ziele. Was ich sportlich und persönlich von den FC Bayern Frauen mitbekomme, welche Beobachtungen ich rund um die Durchführung eines Profi-Trainingslagers mache, wie ich Doha kulturell erlebe, gehört hier nicht hin. Mein Interview mit der Spielerin Melanie Leupolz habe ich bereits hier im Blog veröffentlicht.

 

Montag – Mädchentraining und deutscher Botschafter

Am ersten kompletten Tag in Doha führt der FC Bayern eine erste gesellschaftspolitische Aktion durch:

Etwa 30 katarische Mädchen (sie sind zwischen 11 und 16 Jahre alt) lokaler Fußballvereine erhalten auf dem Gelände der Aspire Academy eine ausführliche Trainingseinheit von Cheftrainer Thomas Wörle und seinem Team. Mehrere Spielerinnen der FCB-Frauen machen freiwillig mit. Unter anderem gibt es ein Training von Torhüterin Jacintha Weimar.

Die Aktion soll nach Angaben des FC Bayern andere katarische Familien dazu ermuntern, dass ihre Mädchen Fußball spielen beziehungsweise andere Sportarten trainieren. Dafür braucht es Reichweite und deshalb sind drei katarische TV-Sender zur Aspire Academy gekommen, die das Training filmen sowie Interviews mit Vereinsvertretern und anderen Repräsentanten der katarischen Gesellschaft führen. Darunter sind einige Vertreterinnen des Qatar Women Sports Commitee, das den Frauensport in Katar fördert. Präsidentin Lolwa Al-Marri werden wir noch häufig in den nächsten Tagen erleben. Sie ist, wie ich im Gespräch mit ihr erfahre, sehr daran interessiert, den Kontakt zum FC Bayern zu vertiefen und die Präsenz des Clubs dafür zu nutzen, etwas für die Gleichberechtigung der Frauen in Katar zu tun. Bemerkenswert, dass ebenfalls Mansoor Al-Ansari hinzukommt. Er ist der Generalsekretär des katarischen Fußballverbandes und unterstützt offenbar das Engagement des Qatar Women Sports Commitees.

Auch der deutsche Botschafter in Katar, Hans-Udo Muzel, ist vor Ort. Wir werden uns von einem Vereinsvertreter gegenseitig vorgestellt und ich kann anschließend unter vier Augen ungestört mit ihm über die Entwicklung der Menschenrechtslage in Katar sprechen und mir seine Sicht schildern lassen. Einiges davon erzählt er dann am Abend auch der gesamten Mannschaft, als er noch einmal ins Hotel kommt.

Gleich zu Beginn betont er, dass das Frauenteam ein Vorbild ist für viele junge Mädchen in Katar. Dass sie durch die Präsenz der Spielerinnen aus Deutschland erkennen, was auch in ihrem Leben möglich sein kann.

Es folgt ein 30minütiger Vortrag in Landeskunde. Er erzählt vom System des islamischen Staates, von Hintergründen zum Boykott der umliegenden Staaten, von der Entwicklung bei den Menschenrechten in den letzten Jahren, und warum die Entwicklung nicht so schnell geht, wie wir uns das alle wünschen.

Ich verstehe das so, dass es in Katar einerseits progressive Kräfte, andererseits aber auch konservative Hardliner gibt.

Der Botschafter spricht auch von dem notwendigen Druck, der von vielen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Politikern im Rahmen der Situation der Arbeitsmigranten auf den WM-Baustellen auf die katarische Führung ausgeübt wird.

 

Dienstag – ILO-Besuch

An diesem zweiten Tag in Doha gibt es erneut einen Besuch im Teamhotel. Neben dem deutschen Botschafter, der in fast der gesamten Woche immer wieder vorbeikommt, besucht uns auch eine Repräsentantin der ILO (International Labour Organization). Alix Nasri berichtet dem ganzen Team ausführlich von der Situation der Arbeitsmigranten in Katar und von der Arbeit der ILO hier vor Ort.

Hintergrundinformationen zur ILO und Katar:

Nach Berichten über sklavenähnliche Zustände auf den Großbaustellen für die Fußball-WM 2022 hatte die ILO zwei Beschwerdeverfahren eingeleitet und gegen Katar ermittelt. Im Jahr 2017 wurden die Untersuchungen eingestellt, denn die Regierung des Emirats verpflichtete sich, für eine positive Veränderung zu sorgen. Mit der ILO vereinbarte man ein Drei-Jahres-Programm. Die Inhalte:

  • Verbesserung der Löhne
  • Verbesserung der Arbeitsinspektionen
  • Einführung ordentlicher Arbeitsverträge und deren Kontrolle
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen und -verfahren
  • Stärkung der Präventionsmaßnahmen für Zwangsarbeit und Menschenhandel (einschließlich der Strafverfolgung der daran Beteiligten)
  • Beschwerdeverfahren für Arbeiter

Im Zuge dieses Drei-Jahres-Programms konnte die ILO in Katar im April 2018 das erste und einzige Büro in der Golfregion eröffnen. Die Zugeständnisse der katarischen Regierung und die Verpflichtung zur Umsetzung von Verbesserungen veranlassen nun ihrerseits die ILO dazu, konstruktiv hier vor Ort das Arbeitsministerium darin zu unterstützen, die Vereinbarungen auch umzusetzen, wie Alix Nasri uns darlegt.

Sie schätzt die Situation in ihrem Vortrag im Teamhotel abschließend so ein:

“The Qataris have opened up greatly towards different partners to support the labour reforms currently ongoing. The partnership between the ILO and the State of Qatar is a case in point. Together, we work towards the establishment of a non-discriminatory minimum wage, the reinforcement of the wage protection system, the removal of exit permits for domestic workers and the removal of the no objection certificates to change jobs, among others.”

Ein Vereinsvertreter stellt die Frage, welche Bedeutung die Präsenz und das Engagement des FC Bayern ihrer Meinung nach in Katar hat. Sie antwortet:

“Equality of women in sport is an important theme. Sports can play a constructive role in promoting decent work and human rights more broadly. It’s encouraging to see that FC Bayern München women’s team is here and engaging in those discussions.”

Anschließend habe ich die Gelegenheit, noch eine gute Stunde im kleinen Kreis mit ihr, Vertretern des FC Bayern und Botschafter Muzel zu diskutieren. Dabei betont die ILO-Repräsentantin noch einmal, dass der FC Bayern mit seiner Präsenz und seinem Engagement die Anliegen der Reformkräfte im Land unterstützt. Die ILO will auch über die WM 2022 hinaus im Land bleiben und Katar darin unterstützen, eingeleitete Reformen nicht zurückzunehmen. Sondern vielmehr weiterzuentwickeln.

 

Donnerstag – Mädchenschule

Mit zwei Spielerinnen der Frauenmannschaft geht es in eine katarische Mädchenschule. Gina Lewandowski und Kristin Demann haben sich auf Wunsch des FC Bayern dazu bereit erklärt, den Schülerinnen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren aus ihrem Leben zu erzählen. An diesem Schulbesuch kann ich mit einem Vereinsvertreter teilnehmen. Das ist nicht selbstverständlich, sind Männerbesuche in dieser Schule höchst ungewöhnlich. Wegen uns verschleiern sich deshalb alle Schülerinnen und Lehrerinnen.

Der Verein schreibt den beiden Spielerinnen nicht vor, was sie zu sagen haben. Er skizziert ihnen nur den Rahmen, in dem der Besuch stattfindet: Eine Schule mitten aus der katarischen Gesellschaft, die islamisch-patriarchalisch organisiert ist. Wo es nicht selbstverständlich ist, dass Frauen Sport treiben oder gar Fußball spielen. Diese Schule jedoch fördert ihre Schülerinnen sportlich, scheint progressive Ideen zu haben.

Als die beiden Profisportlerinnen aus Westeuropa in die Aula kommen, herrscht bei Schülerinnen und ihren Lehrerinnen eine fröhlich aufgeregte Stimmung. Für die Schule ist der Besuch offenbar ein großes Ereignis. Es werden die Nationalhymnen Katars und Deutschlands gespielt sowie mehrere Reden gehalten. Gina und Kristin schildern dann auf Englisch (die Schülerinnen verstehen das meiste, manches wird ins Arabische übersetzt) ihre Werdegänge und was der Fußball ihnen im Leben alles gegeben hat: Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, ein Einkommen. Sie betonen, dass ihrer Meinung nach Frauen das gleiche Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben sollten, wie Männer. Im Anschluss erzählt uns die Direktorin noch stolz von ihrem Engagement für ihre Schülerinnen.

Dieser Schulbesuch wurde, wie auch der Besuch der fußballspielenden Mädchen am Trainingsgelände, von dem Qatar Women Sports Commitee organisiert. Zum Thema „Frauensport in Katar“ äußert sich in einem aktuellen Bericht des Deutschlandfunks Danyel Reiche von der Amerikanischen Universität Beirut:

„Die Anzahl der Menschen, die Sport treiben, ist sehr niedrig. Trotz aller Bemühungen in den letzten Jahren, gerade auch was den Schulsport angeht. Allerdings wird insgesamt in Katar schon versucht, Sport aufzuwerten. Es ist eines der wenigen Länder, wo es einen nationalen Sporttag gibt.  Aber speziell bei Frauen ist das Problem groß: Laut der nationalen Sportstrategie machen nur 15 Prozent der Frauen regelmäßig Sport und gefragt danach, welchen Sport sie betreiben, haben 58 Prozent dieser 15 Prozent gesagt: Walking.“

 

Freitag – Begegnung mit Sicherheitsmann Felix

Die Fußballplätze der Aspire Academy sind rund um die Uhr geöffnet und die gesamte Nacht mit Flutlicht beleuchtet. Wenn dort kein Mannschaftstraining stattfindet, dürfen Freizeitsportler auf dem perfekt gepflegten Rasen kicken.

An diesem Abend möchte ich bei einem nächtlichen Spaziergang über das Gelände einem Spiel zweier Amateurteams zuschauen. Der Sicherheitsmann am Eingangstor verwehrt mir jedoch den Zugang. Er steht dort allein, ohne Kollegen oder gar Aufpasser. Ich versuche, den Mann, der offenkundig kein Katarer ist, in ein Gespräch zu verwickeln, um bei dieser Gelegenheit ein wenig von der Sicht eines einfachen Angestellten zu erfahren. Zunächst halten wir ein wenig Smalltalk über unsere Lieblingsclubs, dann darüber, wo wir herkommen. Der Sicherheitsmann stellt sich mir vor als Felix (der komplette Name ist mir bekannt) aus Nairobi (Kenia). Er ist mit einem typischen Arbeitsvisum Katars ins Land gekommen, hat einen 3-Jahres-Vertrag unterschrieben. Sein Arbeitgeber setzt ihn ein als Sicherheitsmann an verschiedenen Orten. Ich frage ihn nach den Umständen seiner Reise. „You know, we are all poor people. I have to work here to support my family in Nairobi.“Ich möchte wissen, was er für eine Unterkunft habe. Er erzählt mir, dass sie dort mit mehreren Personen leben, einen Telefonanschluss haben (er gibt mir sogar seine katarische Festnetznummer) und im Fernsehen gerne Fußball schauen. „And how is your work, Felix? Is it tough?“ „It’s no problem. If you want to come here to work, and you get work, you shouldn’t complain about it.“ Ich erkundige mich nach seinem Vertrag. Noch 14 Monate würde der laufen, sagt Felix mir: „Then I go home for holiday. Happy to see my family.“ Und dann sagt Felix mir einen Satz, der mich vollkommen überrascht: „And then I hope to get a new contract here in Katar!“

Natürlich ist Felix nicht repräsentativ. Offensichtlich hat er eine leichtere Tätigkeit im Unterschied zu den Arbeitern auf den zahlreichen Großbaustellen im Land. Aber dennoch zeigt mir das Gespräch mit ihm, dass es zumindest punktuell Zustände gibt, mit denen die Arbeiter oder Angestellten zufrieden sind. Sonst würde jemand wie Felix nicht wiederkommen wollen.

 

Habe ich WM-Baustellen besuchen können?

Nein. Der FC Bayern wollte mir das ermöglichen, aber die zuständigen Verantwortlichen waren wohl alle bei der Asienmeisterschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Wie in Deutschland kann man auch in Katar nicht einfach auf eine Großbaustelle gehen. Das muss angemeldet werden. Von außen konnte ich mehrere WM-Baustellen sehen, und dabei nichts Besonderes feststellen: Alle sichtbaren Bauarbeiter trugen Helme und Schutzwesten bei der Arbeit, viele hatten Wasserflaschen dabei. Ich habe aber auch nichts anderes erwartet, da die WM-Baustellen nach Auskunft mehrerer NGOs mittlerweile gut kontrolliert werden. Das Hauptproblem, so wird mir erzählt, seien in Katar derzeit die vielen tausend Hausangestellten. Arbeitsmigrantinnen, die im privaten Bereich der katarischen Gesellschaft im Verborgenen arbeiten und vielfach ausgebeutet werden.

Habe ich mit Spielerinnen und Trainern über die Katar-Kritik gesprochen?

Ich habe in Gesprächen, die sich zwischendurch ergaben, unter anderem von meiner Katarkritik erzählt und noch einmal betont, wie negativ die Katar-Reisen des FC Bayern bei zahlreichen Fans und Mitgliedern gesehen werden. Mir wurde interessiert zugehört, aber ich erhielt keinerlei Rückmeldungen, aus denen ich erkannt hätte, dass meine Kritik geteilt würde. Was sie über Katar und die Menschenrechtslage denken? Ich weiß es auch nach der Reise nicht. Das sind Angestellte des Clubs, die als Teil des Frauenteams bei weitem nicht den Status (und damit die Macht) der männlichen Profis haben. Und selbst wenn ich im Rahmen des Trainingslagers kritische Äußerungen von Spielerinnen oder Trainern erhalten hätte, müsste ich diese für diesen Beitrag autorisieren lassen. Wäre das passiert? Vermutlich nicht. Von daher wäre es müßig gewesen, nun immer wieder bei Spielerinnen oder Trainern nachzuhaken.

Habe ich mich auf eigene Faust durch Doha bewegt?

Das habe ich. Allerdings weniger, als ich vor der Reise vorgehabt hatte. Das lag an dem überraschend dichten Programm, von dem ich nichts verpassen wollte. Zu denen neben den Trainingseinheiten und einem Testspiel auch einige Museumsbesuche gehörten. Teilweise lag es an den Umständen. So wollte ich eigentlich den Großteil des Samstages durch Doha streunen, doch aufgrund der Feierlichkeiten an dem Tag (die Nationalmannschaft Katars gewann am Vorabend die Asienmeisterschaft und wurde mit einem Staatsempfang begrüßt) waren Teile der Stadt gesperrt und das Verkehrschaos noch größer als sonst. Es bestand die Gefahr, dass ich gar nicht mehr aus der City zurück zum Hotel oder zum Flughafen gekommen wäre.