Katar-Reise, Teil 1: Die Vorgeschichte

Im Jahr 2010 wird die WM 2022 an Katar vergeben. Im Jahr 2011 reist der FC Bayern, wie ich vom Club höre auf Wunsch von Louis van Gaal, erstmals ins Wintertrainingslager nach Doha. In den Jahren davor ging es bereits mehrfach in den Nachbarstaat Vereinigte Arabische Emirate nach Dubai.

In den Folgejahren wächst im Zuge von Kritik an der WM-Vergabe auch die Kritik an dem Engagement des FC Bayern in Katar. Ihren Höhepunkt erreicht sie im Januar 2015, als der FC Bayern zu einem Freundschaftsspiel nach Riad in die Hauptstadt von Saudi-Arabien reist. In das Land, in dem kurz zuvor der Blogger Raif Badawi ausgepeitscht worden ist und Frauen kein Fußballstadion besuchen dürfen.

Einige Vereinsmitglieder schreiben offene Briefe oder treten aus dem Club aus. Aus Protest über die Reisen des FC Bayern in Länder, in denen die Menschenrechte missachtet werden.

Michael Horeni, Sportredakteur der FAZ kommentiert, was auch ich denke:
„Man darf jedoch schon wünschen und auch erwarten, dass sich der FC Bayern München als wichtigster und reichster Repräsentant des deutschen Klubfußballs eine Haltung zu Menschenrechten leistet. Und nicht wie schon beim umstrittenen Trainingslager in Qatar immer denselben bayerisch-arabischen Doppelpass spielt: Hand aufhalten, Mund halten.“

Mir ist wichtig, dass der Verein direkt von meiner Kritik erfährt. Daher formuliere ich sie in einem Brief an den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Jan-Christian Dreesen (neben den Finanzen auch für die Fanbetreuung zuständig). Und tatsächlich, beim FC Bayern findet das Beachtung. Ich werde nach München eingeladen, und in einem Gespräch, das ich Mitte 2015 an der Säbener Straße mit Dreesen führe, erneuere ich diese Kritik. Der FC Bayern konstatiert dabei mir gegenüber, dass es ein Fehler war, in Saudi-Arabien zu spielen. Hält aber an den Trainingslagern im Golfstaat fest.

Ende 2016 lässt sich Uli Hoeneß auf der Jahreshauptversammlung erneut zum Präsidenten wählen. Anschließend können sich wie immer satzungsgemäß die Mitglieder mit Redebeiträgen äußern. Ich wollte der Vereinsführung meine Meinung über die Entwicklungen darlegen – und auch das Trainingslager in Katar kritisieren. Wörtlich sage ich auf der JHV:

„Ich wünsche mir einen FC Bayern, der weiterhin sein jüdisches Erbe pflegt und schon deshalb Geschäftsbeziehungen in Staaten unterlässt, die unserem Präsidenten Landauer die Einreise verweigert hätten. Und ich wünsche mir einen FC Bayern, der sein Winter-Trainingslager dort aufschlägt, wo nicht nur die Bedingungen gut und die Temperaturen warm sind – sondern auch die Menschenrechte geachtet werden.“

Ich will mit meinem Redebeitrag nicht einfach nur Dampf ablassen, protestieren, „es denen da oben mal so richtig zeigen“, sondern einen Dialog mit dem FC Bayern führen. Deshalb formuliere ich inhaltlich deutlich, aber in der Form diplomatisch und konstruktiv. Meine Mitgliedschaft sehe ich als Verpflichtung, den Verein auf Verfehlungen hinzuweisen und daran mitzuwirken, dass der FC Bayern München sich auch außerhalb des Fußballplatzes so verhält, dass man darauf stolz sein kann.

Mein Dialogangebot wird vom Club erfreulicherweise als solches verstanden. Anfang 2017 erhalte ich einen Anruf von Uli Hoeneß. Er lädt mich zu einem Gespräch nach München in sein Büro. Im April 2017 sitzen wir zusammen, sprechen unter vier Augen über alle Punkte meiner JHV-Rede (die neben der Katar-Kritik noch einige weitere Themen beinhaltete). Hoeneß hat sich vorbereitet, ist freundlich, hört zu, nimmt sich über eine Stunde Zeit für mich und meine Themen – und gibt mir in fast allen Punkten Recht.

Nur in einem nicht: Hoeneß hält es für richtig, weiter nach Katar zu reisen. Er vertritt die Meinung, dass ein Boykott nichts verbessern würde. Dass man vor Ort kritische Gespräche führen müsse. Und dass der FC Bayern das auch tun würde.

In den folgenden Jahren halte ich den Dialog mit einigen Clubverantwortlichen aufrecht. Immer, wenn sich mir die Gelegenheit bietet, spreche ich sie auf die Katar-Thematik an, darunter auch noch einmal Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge.

Gleichermaßen versuche ich, mich selbst so intensiv wie möglich über dieses Land und seine Politik zu informieren. Dazu spreche ich mit einigen Journalisten, die bereits vor Ort recherchiert haben und schreibe auch Regina Spöttl, die Expertin für die Golf-Region bei Amnesty International, an – und bitte sie um ihre Einschätzung. Im März 2017 antwortet sie mir:

„Amnesty International ruft grundsätzlich nicht zum Boykott von Trainingsmöglichkeiten oder sportlichen Großveranstaltungen auf. Wir finden, dass es besser ist, hinzufahren, sich umzusehen und vor Ort das Gespräch zu suchen. Sport kann ein wichtiger Kanal für Kommunikation sein. Es ist besser, hinzufahren und vor Ort Missstände kritisch anzusprechen.  Ob solche Gespräche bereits stattgefunden haben, müssten Sie Ihre Kontaktperson beim Verein direkt fragen. Angesichts der Empfindlichkeit der arabischen Welt gegenüber jeder Art von Kritik ist allerdings Fingerspitzengefühl gefragt, um etwas erreichen zu können.“

Dieses Statement gibt mir ein erstes Indiz dafür, dass der Boykottaufruf eventuell nichtrichtig sein könnte. Je tiefer ich ins Thema einsteige und auch über die mindestens ebenso schlimmen Menschenrechtsbedingungen in den umliegenden Golfstaaten lese (VAE, Saudi-Arabien, Bahrain), desto mehr trübt sich mein ursprünglich klares Katar-Bild ein.

Im Jahr 2018 liest man immer häufiger von leichten Verbesserungen bei den Arbeiterrechten in Katar. Vieles sei immer noch nicht akzeptabel, aber es scheint sich etwas zu bewegen.

Die tz schreibt Anfang Januar 2019:

„Unter anderem unterzeichnete Staatsoberhaupt Tamim bin Hamad Al Thani im September ein Dekret, wodurch Gastarbeiter aus dem Land ohne Ausreisevisa in ihre Heimatländer zurückkehren können. Bisher mussten ausländische Arbeitskräfte ihre Pässe beim Arbeitgeber abgeben und durften nur mit deren Einverständnis in die Heimat reisen. Die angekündigte Reform des kritisierten Arbeitsrechts, Kafala genannt, nimmt also Form an. „Dieser Tag markiert einen gewaltig großen Schritt zur Verbesserung der Gastarbeiterrechte und das Ende des Kafala-Systems“, sagte damals Sharan Burrow, Vorsitzende des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Katar ist damit der erste Golfstaat, der diese Restriktionen aufhebt.

Dass sich in Katar etwas tut, ist auch Wenzel Michalski von Human Rights Watch (HRW) nicht entgangen: „Man kann sagen: Katar ist auf dem richtigen Weg.“ Und da kommt in den Augen des Deutschland-Direktors der Menschenrechtsorganisation der Rekordmeister ins Spiel: „Katar braucht Hilfe, es braucht Schubhilfe. Und der FC Bayern könnte so ein Anschieber sein.“

Ob der FC Bayern wirklich „kritische Gespräche“ vor Ort führt, ob er dort wirklich etwas tut, außer zu trainieren – das erschließt sich mir nicht wirklich. Und auch sonst niemandem, der nicht unmittelbar dabei ist. Denn der Club veröffentlicht praktisch nichts darüber. So ist es eine Frage des persönlichen Vertrauens in meine Gesprächspartner, ob ich ihnen ihre Beteuerungen glauben soll. Dass der FC Bayern mit so einer Kommunikationspolitik die Kritik an den Katar-Trips nicht zum verstummen bringt, ist klar.

Nachdem siebenmal hintereinander die männlichen Profis nach Katar reisten, fahren im Januar 2018 erstmals auch die weiblichen Profis des FC Bayern nach Doha. Gleicher Ort, gleiche Bedingungen, lediglich ein paar Wochen nach den Männern. Das Trainingslager soll zum einen eine Belohnung für die Erfolge des Frauenteams sein, die zweimal Deutscher Meister wurden. Ein Trainingslager unter derartig guten sportlichen Bedingungen in einem so weit entfernten Land ist im Frauenfußball die große Ausnahme. Doch nach eigenen Angaben verfolgt der FC Bayern mit dem Frauen-Trainingslager noch einen anderen Zweck, einen gesellschaftspolitischen: So soll laut Pressemitteilung „die Reise der Bundesliga-Spielerinnen des FC Bayern München nach Doha auch den Frauensport in arabischen Ländern unterstützen.“

Präsident Uli Hoeneß sagt Anfang 2018 dazu dem Merkur, er fände die Reise gut und wichtig. „Nur so entsteht was. Nicht hinfahren, nicht miteinander reden und sich einbuddeln – damit ändert und bewirkt man gar nichts.“ Beim Trainingslager der Frauen gehe es „um die Gleichberechtigung und die Rolle der Frau in einer Gesellschaft – auch das ist ein elementarer Bestandteil unserer Kultur.“


Die Einladung

Ende des Jahres 2018 werde ich vom FC Bayern dazu eingeladen, mitzukommen nach Doha zum 2019er Trainingslager der Frauenmannschaft. Wie ich in meinem Blogbeitragdazu schreibe, soll ich mir – so die Ansage des Vereins – mit eigenen Augen ein Bild davon machen, was der FC Bayern vor Ort tut und was für ein Land Katar ist.

Es ist das Frauentrainingslager, das der FC Bayern mir zeigen möchte. Weil der Club hier tatsächlich sich auch gesellschaftlich im Gastgeberland engagiert?

Ich denke lange darüber nach und entscheide mich schließlich dazu, diese Einladung anzunehmen. Nach drei Jahren des fortgesetzten Dialoges zwischen dem Club und mir erscheint es mir falsch, diese Einladung auszuschlagen. Kann ich die Katar-Reisen des Clubs kritisieren – und dann ablehnen, mir selbst vor Ort ein Bild von dessen Aktivitäten im Land zu machen? Ich meine: nein. Ich sage also zu. Natürlich auch deshalb, weil es keinerlei Bedingungen gibt. Weder muss ich einen freundlichen Bericht zusagen noch überhaupt irgendetwas versprechen. Von Anfang an wird betont, dass ich überall dabei sein, mit jedem sprechen und mich jederzeit frei bewegen könne.

Als ich via Twitter und in meinem Blog von der Einladung erzähle, wird mir nicht nur aufmunternd gratuliert, ich werde auch mit heftiger Kritik konfrontiert. Das hatte ich unterschätzt, weil ich mich selbst ja kenne und weiß, dass ich nicht „käuflich“ bin. Mir ist natürlich bewusst, dass es heikel ist, sich von dem Club einladen zu lassen, den man kritisiert. Aber weder bin ich ein Journalist, dessen Arbeitgeber so eine Reise finanziert, noch habe ich das Geld, auf eigene Kosten dorthin zu fliegen. Ich bin aber zu neugierig auf die Verhältnisse vor Ort, als dass ich mir diese Chance entgehen lassen will. Als man im Club mitbekommt, mit welchem Gegenwind ich konfrontiert bin, bietet man mir an, die Reise nicht mitmachen zu müssen, wenn ich deshalb zu große Probleme bekäme. Diesen Vorschlag lehne ich ab.

Die Reaktionen auf meine Ankündigung zeigen mir, wie festgefahren die Meinungen zu Katar sind, wie verhärtet die Fronten. Teilweise verständlich, erfährt man doch bisher kaum konkretes über das Verhalten des FC Bayern vor Ort. Teilweise wirkt es auf mich aber auch so, dass es eigentlich egal ist, ob und was der FC Bayern in Katar tut. Er soll dort schlicht nicht hinfahren. Unter keinen Umständen.