Es ist 4:40 in der Nacht am Morgen. Ich sitze im ICE nach München und wecke mir eine Gänsehaut. Seit gut fünf Jahren kann ich das. Immer wenn ich möchte. Dann hole ich mir die Stimme von Marcel Reif ins Bewusstsein. Er brüllt „Robben!! Robbähn!!! Jetzt macht er sein Tor!!“ Und vor meinem inneren Auge läuft diese Sequenz ab, die ich tausendmal gesehen habe: Hackenball Ribery, Robben fliegt heran, nimmt den Ball mit und fieselt ihn mit einem knotigen Schlenzer an Weidenfeller vorbei. Swoosh – Gänsehaut auf beiden Armen. Ein herrliches Gefühl. Ist Arjen das eigentlich bewusst, welche Emotionen diese eine Aktion auch noch Jahre später auslöst? Der 25. Mai 2013 bringt den schönsten Moment meiner an vielen schönen Momenten reichen Geschichte mit dem FC Bayern. Kutzops verschossener Elfer 1986. Wohlfarths Tore 1989 im entscheidenden Meisterschaftsspiel bei Daums Kölnern. Anderssons Freistoß in Hamburg 2001. Kahns Elfmeterparaden im CL-Finale 2001. Und dann ab August 2009 immer wieder dieser Niederländer, verschmäht in Madrid, verpflichtet von München, vernichtet Wolfsburg mit zwei Toren in seinen ersten 45 Minuten für den FC Bayern. Robben startet damit eine Ära, die der FC Bayern in den vorangegangenen 109 Jahren noch nicht erlebt hatte.
Heute, neun Jahre, sieben Meisterschaften, eine Champions League und 12 andere Pokale später steht Arjen Robben für etwas, was ihn über die meisten Bayernspieler der Geschichte erhebt: ikonographische Momente. Tore, die sich bildhaft ins Gedächtnis gebrannt haben. Da ist nicht nur sein Wembley-Tor. Sondern auch seine Direktabnahme nach Ribery-Ecke in Manchester. Sein Solo über 80 Meter in der Verlängerung, mit dem er das Pokalspiel in Gelsenkirchen entscheidet. Seine unzähligen Trademark-Tore, vom Gegner nie zu verteidigen.
Mir ganz persönlich ist der Fußballer mit spärlichem Haar von Anfang an sympathisch. Ich mag den Akzent, wenn Niederländer deutsch sprechen. Ich mag Spieler, die auf dem Platz auffallen – und nicht daneben. Ohne Tattoos, Diamantuhr, Custom Car und BlingBling-Klamotten. Arjen Robben findet es befremdlich, wenn er als „Star“ wahrgenommen wird. In einem Interview mit Kees Jansma sagt er 2017: „Stars gibt es in Hollywoodfilmen. Ich bin ein ganz normaler Kerl, der ein Talent für Fußball hat.“ Sein Ehrgeiz, sein Trainingsfleiß, seine Einstellung sind vielfach thematisiert worden. Für ihn ist das alles nicht der Rede wert. Er versteht sich als Berufsfußballer, der es als seine Pflicht ansieht, alles, wirklich alles dafür zu tun, seinen Beruf so gut wie möglich ausüben zu können. So entspricht er ganz dem calvinistisch-niederländischen „Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg“ (Benimm Dich normal, dann bist du schon verrückt genug.).
Robbens Arbeitsethos zwingt ihn in die Rolle des tragischen Helden. Im Saisonfinale 2012 fällt er tief, leidet mit dem Unglück seiner Mannschaft. Einem Unglück, zu dem er selbst beiträgt. Weil er Verantwortung übernimmt, als es um Alles oder Nichts geht. Im Kampf um die deutsche Meisterschaft verschießt er beim entscheidenden Spiel in Dortmund einen Elfmeter. 38 Tage später verschießt er einen Elfmeter in der Verlängerung beim Champions-League-Finale gegen Chelsea. Seine Motive waren edel. Sein Scheitern dramatisch. Doch das Schicksal reicht dem gefallenen Helden die Hand – und zieht ihn wieder hoch. Ein Jahr später, in Wembley, eine Minute vor Schluss. Nicht normal. Verrückt. „Robben!! Robbähn!!! Jetzt macht er sein Tor!!“
Es ist 6:10. In vier Stunden bin ich in München. Nach einer kurzen Nacht. Nach einer Woche, in der ich Beruf und Familie zurückstelle, um mich mit Justin Kraft vom Bayernblog miasanrot bestmöglich vorzubereiten: auf ein Interview mit Arjen Robben.
Servus, Arjen! Hast Du schon mal mit Bloggern ein Interview geführt?
Nein, noch nicht.
Das ist das erste Mal, dass wir mit einem Profispieler sprechen dürfen und deshalb freuen wir uns sehr, dass Du Dir die Zeit genommen hast.
Ich bin gespannt. Warten wir mal ab (grinst).
Wie geht’s deinem Knie?
Wieder gut, ich hatte einen sehr guten Tag – gut individuell trainiert, das Knie auch belastet, eigentlich gut durchgehalten (grinst) und ja, das war ein bisschen schwierig jetzt. Es hat ein bisschen Zeit gebraucht.
Es sah ja lange gut aus.
Ja, die ersten drei bis vier Monate der Saison war nichts. Da habe ich von der ersten bis zur letzten Minute alles mitgemacht und jetzt hatte ich vor allem nach der letzten Länderspielpause physisch ein bisschen Probleme, hier und da ein bisschen Schmerzen und am Ende kam eine Verletzung. Ich habe die Zeit genutzt, um die Wehwehchen auszukurieren und da etwas zu arbeiten. Wenn ich zurückkomme, dann will ich auch ganz frisch zurückkommen. Das war in den letzten Wochen ein bisschen das Problem.
Du sagst oft, dass du hart arbeitest, um Verletzungen vorzubeugen. Du hättest da viel in deiner Karriere verändert. Aber was meinst du damit genau?
Ich hatte vor zwei Jahren eine große Verletzung in den Adduktoren und da habe ich wirklich nochmal viel verändert. In jedem Bereich. Ob es Ernährung, Physio, Training oder Ruhe ist, alles nimmst du mit und versuchst halt, alles perfekt zu machen. Über die Jahre lernst du natürlich viel über deinen eigenen Körper. Du weißt, was du brauchst, was du nicht brauchst und dann glaubst du, dass du das weißt und noch immer kommen ein paar Sachen. Eine Kleinigkeit hier, eine da – perfekt gibt es nicht, aber ich versuche, so nah wie möglich da ran zu kommen.
Bist du da in Gesprächen mit Physios, die dir Tipps geben?
Ja, klar. Du musst für so etwas immer offen sein. Ich kriege hier und da Post mit Hinweisen, die ich sehr schätze – aber du kannst natürlich nicht von jedem Ratschläge annehmen. Da wirst du am Ende im Kopf verrückt. Deswegen muss man schauen, was zu einem passt und offen sein, ohne zu viel zu machen.
„Dann müssen sie sich halt den Arsch aufreißen.“
Du hast im Sportschau-Club der ARD vor kurzem bereits gesagt, dass du lieber über Fußball sprichst als über das, was neben dem Platz passiert. Deshalb wollen wir mit dir auch über Fußball sprechen. Jungen Spielern gibst du vor allem mit, dass die Mentalität sehr wichtig ist. Sind taktische Aspekte ebenfalls ein Thema?
Wir sind immer offen und immer bereit, das muss aber natürlich auch von dem Spieler selbst kommen. Wenn sie mal was haben, dann können sie immer auf uns erfahrene Spieler zukommen. Und wenn sie mal was wissen wollen, sind wir immer da. Aber ich glaube, das ist ein ganz großer Schritt für sie, wenn sie hier mal mittrainieren dürfen. Dann müssen sie sich halt den Arsch aufreißen. Dann müssen sie zeigen, was sie können. Mit viel Mut trainieren, präsent sein, aber auch gut die Augen aufhalten und schauen, wo kann ich lernen, wo kann ich mich weiterentwickeln und ab und zu auch von den älteren Spielern etwas abschauen.
Du bist bereits mit 16 Profi geworden. Wie war das damals, bei den gestandenen Spielern reinzukommen? Warst du so ein Spieler, der Eigeninitiative ergreift, um etwas zu lernen?
Die Älteren habe ich nicht so oft angesprochen, aber das war früher … ich will jetzt eigentlich nicht früher sagen, weil dann hör ich mich an wie ein …
… Opa …
Ja, genau (lacht). Aber es war schon anders. Ich sage auch immer, dass man nicht vergessen darf, dass die ganze Welt sich ändert. Mit Social Media, mit allem – die Welt entwickelt sich halt. Das ist nicht nur im Fußball, sondern überall so. Und das musst du schon mitnehmen, dass die Kinder jetzt anders aufwachsen als wir. Ich sehe das ja auch, weil ich drei Kinder habe und ich sehe es auch hier im Verein. Nur ich würde nicht tauschen mit diesen Kindern. Meine Jugend war so schön. Ich war immer draußen, hatte diese Freiheit. Aber natürlich hast du auch Verantwortung. Ich musste meine Leistung bringen. Mit 16 kommst du in eine Mannschaft, die alte und erfahrene Spieler hat und natürlich waren da auch welche dabei, die mich angeschaut haben und gesagt haben …
… was will der denn hier …
… ja, und ich sehe das positiv, es war eine Kraft von mir. Ich bin meinen Weg gegangen, ich war da selbstbewusst. Ich habe vielleicht auch nicht immer zugehört, aber ich habe mein Ding gemacht und einige hat das geärgert. Das haben sie auch mal angesprochen. Aber trotzdem habe ich immer versucht, weiter zu machen und jedes Training und jedes Spiel zu zeigen, was ich kann. Und dann habe ich auch mal eine abbekommen. Mal verbal, dass ich angeschrien wurde, aber richtig angeschrien. Aber auch mal im Training, wo ich dann durch die Luft geflogen bin, weil mich jemand umgegrätscht hat. Aber da kommst du stärker raus.
Hätte der 16-jährige Robben heute eine Chance bei den Bayern-Profis?
Weiß ich nicht, ich könnte schon mittrainieren, glaube ich (grinst). Spielen wäre vielleicht was anderes, aber ich war mit 16 Jahren ja bei Groningen und das war auch noch nicht top in Holland.
Das macht den Einstieg etwas einfacher …
… ja, das war gut. Wir haben gegen den Abstieg gekämpft. Und danach habe ich mit 18 den Schritt zu PSV gemacht und da haben wir um die Meisterschaft gespielt, das war schon wieder was anderes. Ich glaube, das waren die richtigen Schritte. Aber das kann man jetzt natürlich einfach sagen (grinst).
„Wenn van Gaal und van Bommel nicht hier gewesen wären, weiß ich nicht, ob ich hierhergekommen wäre.“
Wir machen einen kleinen Sprung. 2009 gab es diese Situation bei Real Madrid, als man dich verkaufen wollte. Du sagtest, dass der FC Bayern sich am meisten um dich bemüht hätte. Was genau hat dich da überzeugt? Hatte van Gaal schon eine besondere Idee, was er mit dir vorhat und hat er dir davon erzählt?
Das hat er mir schon erzählt. Das ist natürlich als Spieler wichtig. Du musst wissen, was die mit dir planen. Wenn van Gaal und van Bommel nicht hier gewesen wären, weiß ich nicht, ob ich hierhergekommen wäre. Es war wichtig, dass die hier waren. Hört sich vielleicht auch so an, als wäre Bayern für mich sonst nicht in Frage gekommen, aber so ist das manchmal im Fußball. Für mich waren die richtigen Leute im richtigen Moment hier und deshalb habe ich diese Entscheidung getroffen. Für den Verein war das auch ganz gut, glaube ich (grinst). Ich habe auch gesagt, dass das die wichtigste Entscheidung meiner Karriere war.
Als van Gaal und van Bommel dann weg waren, hattest du dann auch Wechselgedanken?
Nein, überhaupt nicht. Weil dann habe ich mich hier so zu Hause gefühlt. Ich meine, ich bin gekommen, weil die beiden hier waren, aber dann lernst du den Verein kennen, die Leute, die hier arbeiten und dann habe ich mich sehr wohlgefühlt.
Als du nach München kamst, hat Louis van Gaal aus Philipp Lahm, Thomas Müller und dir ein starkes Dreieck gebildet. Wie präzise waren die taktischen Vorgaben damals und wie viel Freigeist steckte dort drin?
Ja, es war eine richtige Kombination, glaube ich. Eine Kombination aus Freiheiten, aber auch einer gewissen Disziplin und Vorgaben. Van Gaal hatte natürlich seine Ideen und seinen Spielplan und vor allem in der Defensive hast du dann deine Aufgaben, in der Ordnung zu spielen. Aber ich glaube, dass wenn man selber den Ball hat und angreift, dann ist es in so einem Dreieck das allerwichtigste, dass alle Positionen besetzt sind. Es muss nicht sein, dass ich vorne bin und Thomas dann in der Mitte. Das kann auch mal wechseln und da muss diese Überraschung für den Gegner kommen.
Wie wichtig waren Philipp Lahm und Thomas Müller für deine Karriere?
Sehr wichtig! Mit Philipp hatte ich und mit Thomas habe ich auf dem Platz noch ein super Verhältnis. Auch neben dem Platz. Und mit Philipp ist das natürlich etwas ganz Besonderes. Er war auf der rechten Seite immer hinter mir und das war gerade in den letzten Jahren ein blindes Verständnis. Ich habe gewusst, wo er war, was er wollte und andersherum war das auch so. Das war super, das hat mir sehr viel Spaß gemacht und es war auch eine große Ehre. Philipp ist ein großer Name, nicht nur bei Bayern sondern für den deutschen Fußball. Super, dass ich mit ihm zusammenspielen durfte und für Thomas gilt das genauso. Wenn Thomas auf dem Platz steht, dann bin ich auch immer um einige Prozente besser.
Wie sehr war die Rolle des Flügelspielers durchgeplant. Konntest du dir deine Freiheiten nehmen?
Ja, aber natürlich nicht so, dass du laufen kannst, wo du willst. Du spielst natürlich schon an der Außenlinie, aber ab und zu kannst du im richtigen Moment schon reinkommen. Da muss man eine gute Abstimmung mit dem Stürmer, den Mittelfeldspielern haben, damit du nicht auf die gleiche Position läufst.
„Meine Kraft liegt immer noch im Eins-gegen-eins.“
Hast du dein Spiel irgendwann in deiner Karriere anpassen müssen, weil du gemerkt hast, dass dein Tempo abgenommen hat?
Nein, aber ich glaube, du entwickelst dich eh weiter als Spieler (überlegt kurz). Ich weiß nicht, ob das Anpassungen sind, wenn du dich in anderen Punkten deines Spiels noch verbesserst, aber ich denke, meine Kraft liegt immer noch im Eins-gegen-eins. Es muss aber nicht immer nur über Dribbling sein, es kann auch mit einem schönen Pass gehen oder dass ich jemand anderen in die Tiefe schicke mit einem Pass, nachdem ich nach innen dribble. Thomas ist da ein super Beispiel. Der macht da die Räume auf. Oder der Außenverteidiger, der dann hintenherum kommt und dann ist es manchmal ein ganz einfacher Pass oder ein bisschen schwieriger. So kannst du auch was kreieren und musst es nicht immer selber machen. Das hat sich schon über die Jahre weiterentwickelt, ja.
Du sprichst das Kombinationsspiel an. Bist du da auch durch Pep Guardiola nochmal besser geworden?
Ja. Er war halt taktisch ein super Trainer und es hat mir unheimlich viel Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten.
Dieses gefordert werden …
… ja, gefordert werden und wie er über Fußball denkt, was er von seinen Spielern verlangt. Ohne aber zu meinen, da muss man immer vorsichtig sein, dass andere da nicht gut waren. Überhaupt nicht. Aber er ist da herausragend, er ist da wirklich so gut und wie gesagt, da wirst du gefordert. Ich habe auch unter ihm auf anderen Positionen mal gespielt, nicht nur Rechtsaußen. Ich habe mal Stürmer gespielt als Neun, aber auch mal als Zehn hinter der Spitze oder sogar als Mittelfeldspieler. Einmal sogar als rechter Außenverteidiger in einer Fünferkette.
„Da ist Guardiola einfach der große Meister.“
Gegen Rom war das, beim 7:1 …
… Da habe ich dort angefangen, stimmt. Und gegen Shakhtar Donezk, zu Hause, haben Franck und ich als Mittelfeldspieler gespielt und andere vorne. Das macht Spaß und auch da entwickelst du dich weiter, kommst auf andere Positionen, musst anders denken manchmal. Das war schön und wie gesagt, da ist Guardiola einfach der große Meister.
Wenn du sagst, dass Guardiola für diese taktische Qualität stand, wofür standen dann van Gaal und wofür Jupp Heynckes?
Das ist immer schwierig. Das sind dann immer so allgemeine Antworten, aber jeder hat seinen eigenen Stil, seine eigene Art wie er mit Spielern umgeht, wie er die Trainings leitet und beide sind natürlich so erfahren. Die haben genau gewusst, was gefragt ist – auch im internationalen Fußball. Mit beiden haben wir bei Bayern sehr intensiv gearbeitet, immer taktisch sehr gut gearbeitet und da haben sie schon auch Ähnlichkeiten.
Würdest du sagen, dass es da auch einen roten Faden gab unter diesen Trainern?
Ja, ich glaube schon, dass sich ein bisschen was verändert hat, seit van Gaal gekommen ist und das ist geblieben. Du bist aber auch immer ein bisschen abhängig von den Spielern, die du hast. Am Ende bist du als Trainer verantwortlich, aber die Spieler müssen es machen auf dem Platz. Du kannst so viel wollen, aber du brauchst dann auch die Spieler, die das ausführen. Über die Jahre, das ist meine zehnte Saison jetzt, haben wir uns da gesteigert. Seit ich gekommen bin, ist es eigentlich immer besser geworden.
„Ehrlichkeit, Offenheit und gute Kommunikation sind wirklich das wichtigste für eine gute Zusammenarbeit.“
Womit verschafft sich ein Trainer bei dir Autorität und was braucht es, damit du ihm vertraust?
Ich schätze es immer sehr, wenn ein Trainer offen und ehrlich ist und sagt, was Sache ist – auch wenn es negativ ist. Und, dass du im Einzelgespräch auch weißt, was er von dir verlangt. Dass du weißt, was du vielleicht verbessern kannst und dass er dir sagt, worauf du achten kannst. Aber Ehrlichkeit, Offenheit und gute Kommunikation sind wirklich das wichtigste für eine gute Zusammenarbeit.
In dieser Saison haben wir allerdings das Gefühl, dass gerade im Mittelfeld die Positionen nicht mehr so gut besetzt sind, der Ball im Spielaufbau schon früh auf die Außenbahnen geht. Hast du das Gefühl, dass dadurch die Verteidiger schon schneller an dir dran sind?
Da gehen wir schon ganz tief in die Taktik hier (lacht). Grundsätzlich ist es so, dass Gegner immer zu uns kommen und defensiv spielen. Und wir müssen immer versuchen, diese Überraschungsmomente zu haben. Wir müssen immer den Ball schnell laufen lassen – Tempo muss drin sein, wir müssen im richtigen Augenblick passen. Es sind viele Sachen, die da zusammenkommen und auch der Zusammenhang wie man positioniert ist auf dem Platz, wo, wie du sagst, die Leute die Bälle bekommen. Wenn du den Ball bekommst und du hast zwei oder drei vor der Nase, dann ist das nicht gut. Für die Außenspieler ist es natürlich ganz wichtig, wenn es schnell läuft, dass du ein Eins-gegen-eins hast. Dann hast du viel mehr Chancen und viel mehr Möglichkeiten. Aber genauso gilt es natürlich für den Stürmer oder den Mittelfeldspieler. Die müssen auch genau in dem Moment den Ball bekommen, oder mal in die Tiefe laufen, dass der Ball zum richtigen Zeitpunkt kommt. Jede Position hat wieder was anderes und braucht auch was anderes und da sind dieser Zusammenhang und dieser Spielfluss, man kann auch Automatismen sagen, sehr wichtig. Und da hatten wir die letzte Periode, nachdem wir ganz gut angefangen haben, ein bisschen Schwierigkeiten.
Wenn du im Spiel merkst, dass es nicht läuft, gibt es dann bestimmte Dinge, die du unternimmst?
Wir reden natürlich miteinander. Das ist aber, glaube ich, ganz kompliziert. Das kann man nicht so einfach beantworten. Mal ist es so eine Phase und du brauchst einen Moment, wo der Knoten platzt.
Wo mal wieder was gelingt …
… ja, genau. Wo du mal gewinnst – fünf, sechs zu null oder so. Für das Vertrauen, für das Gefühl. Aber ich finde noch immer, dass wir so viel Qualität in dieser Mannschaft haben. Das Allerwichtigste ist, dass da Spielfreude sein muss. Da muss Lauffreude sein. Fußballspielen können wir und natürlich kann man so kleine Dinge ansprechen, aber wir brauchen vor allem das: Spielfluss, Rhythmus, viel Tempo drin. Und wenn mal was schiefgeht, ja dann geht mal was schief und dann müssen wir alle zusammen so schnell wie möglich wieder den Ball erobern. Aber das ist nicht nur eine Sache, wo wir dann sagen können, dass wir wieder da sind, wenn wir das besser machen. Ein bisschen da, ein bisschen hier und am Ende hilft Erfolg – mal ein guter Sieg. Nicht ein eins zu null, sondern mal ein vier oder fünf zu null.
„Druck macht mich besser.“
Per Mertesacker sprach vor einiger Zeit sehr offen über den Umgang mit Druck im Profifußball. Wie ist das bei dir?
Ich liebe es eigentlich. Druck macht mich besser. Druck gehört dazu. Das lernst du auch über die Jahre und natürlich bist du auch mal nervös, aber das gehört dazu und ist gesunde Spannung. Es ist nicht so, dass ich denke: „Oh, jetzt musst du deine Leistung bringen.“ Nein, Druck macht mich stark und wenn diese großen Spiele kommen, dann musst du einfach da sein. Dann musst du sagen: „Okay, jetzt zeige ich es allen.“ Denn das ist es, wofür du alles machst in deiner Karriere. Du hast dafür gearbeitet und jetzt bist du auf dem höchsten Podest, sag ich mal und dann kannst du diese großen Spiele …
… dann kannst du dich belohnen!
Es ist eine Belohnung! Und dann ist es schön, wenn du sagst (schnipst mit den Fingern): „Okay, lass es kommen. Ich bin bereit.“
„Dein Moment kommt noch.“
Wobei so ein Finale wie 2012 natürlich auch schwierig ist, wo du dir vielleicht auch Vorwürfe machst. Und dann kommt das Finale 2013. War da kein Gedanke mehr daran? Kein: „Bitte nicht schon wieder?“
Nein, ich war da eigentlich ganz überzeugt. Das ist jetzt immer einfach zu sagen, aber das war einfach so. Ich kann mich noch gut erinnern. Ich war im Bus, habe ein bisschen Musik gehört, wie immer, aber im Kopf war ich ganz klar und ich habe genau gewusst, dass wir zweimal ein Finale verloren haben, aber heute nicht. Heute ist unser Tag. Und so bin ich ins Spiel gegangen. Und ich hatte ja in der ersten Halbzeit ein, zwei Chancen, wo der Ball noch nicht reinging. Da habe ich mich in der Kabine nochmal zusammengerissen und hab mir gesagt: „Okay, abhaken. Passiert. Dein Moment kommt noch.“ Wie gesagt, das kann ich jetzt einfach sagen, aber ich bin da auch ehrlich. So war es halt. Und es hat funktioniert. Im Fußball brauchst du immer auch ein bisschen Glück. Manchmal läuft es so, manchmal anders. Aber es musste so sein und das war auch eine Belohnung. Nach dieser eher enttäuschenden Saison 2012 mit drei zweiten Plätzen hast du von Anfang an gemerkt, schon in der ersten Trainingseinheit: da steht eine Mannschaft auf dem Platz und die wollen jetzt Revanche und das haben wir gemacht.
„Eine gute Atmosphäre in der Mannschaft: das ist das Allerwichtigste. Nur so bist du erfolgreich.“
Das ist wahrscheinlich auch diese positive Mentalität und Einstellung, die es dafür braucht.
Ja, klar, aber auch innerhalb der Mannschaft. Nicht nur einzeln, sondern auch als Mannschaft zusammen, jeder füreinander arbeiten, eine gute Atmosphäre in der Mannschaft: das ist das Allerwichtigste. Nur so bist du erfolgreich. Das ist immer ein Klischee, aber so ist es. Ich habe das schon bei Bayern erlebt, ich habe das schon bei der Nationalmannschaft erlebt, wenn es alles nicht so gut gepasst hat und wo die Stimmung nicht so gut war und dann stimmt auch die Leistung nicht.
Lass uns nochmal kurz bei 2012 bleiben. Da gab es ja diese unsäglichen Pfiffe in der Allianz Arena und man hätte es dir sicher nicht verübeln können, wenn du danach gewechselt wärst. Was hat dich davon überzeugt, dass das Team die Revanche schafft? War es vielleicht auch eine offene Rechnung?
Nein, aber ich glaube, in so einem Moment musst du ganz nah bei dir selbst bleiben. Das waren natürlich viele Faktoren. Das war alles nicht so eindeutig, dass du sagen kannst: „Das waren die Bayern-Fans.“ Das waren wenige Bayern-Fans. Ich habe auch, und das hat gutgetan, von vielen Fan-Clubs gehört, die sich entschuldigt haben, obwohl sie das nicht waren. Das waren nicht die wirklichen, richtigen Bayern-Fans.
Das war eine Minderheit.
Genau, und andererseits glaube ich, dass es nicht ganz glücklich kommuniziert war. Da war diese Geschichte mit dem Trikot, halb Holland, halb Bayern und jeder hat erwartet, ich spiele eine Halbzeit mit jeder Mannschaft. Dann habe ich nur für Holland gespielt. Aber das war vertraglich alles so gemacht und wir waren in der Vorbereitung auf die EM 2012. Ich konnte da selber nichts dafür. Aber trotzdem ist es natürlich in dem Moment, wo du auf dem Platz stehst, das alles nicht weißt und erst nachher hörst, sehr schmerzhaft, wenn du im eigenen Stadion ausgepfiffen wirst.
Du hast vorhin auch gesagt, dass du total überzeugt davon warst, dass die Revanche 2013 gelingt. Wie ist das in dieser Saison? Was überzeugt dich davon, dass die Mannschaft die schwierige Periode wieder zum Guten dreht?
Ich hoffe das natürlich. Wir müssen es erst zeigen, aber ich bin davon überzeugt, weil die Qualität da ist. Fußball ist manchmal eine Momentaufnahme und manchmal kann es sich so schnell drehen (schnipst wieder mit dem Finger) – von einem auf den anderen Moment kann alles wieder positiv sein.
Ihr hattet einen guten Start und dann ging es plötzlich bergab.
Genau. Du gewinnst die ersten fünf, sechs Spiele und dann auf einmal verlierst du oder spielst Unentschieden und es gibt eine Serie, wo du nicht mehr gewinnst. Aber so kann es auch wieder in die andere Richtung gehen. Deshalb glaube ich, dass wir mal wieder einen Sieg brauchen, wo wir nicht nur gewinnen, sondern deutlich gewinnen. Auch vom spielerischen her, dass du sagst: Boah! Das war richtig gut! Dafür sind wir alle Menschen und so ein Sieg gibt dir einfach Selbstvertrauen und ein gutes Gefühl.
Es ist nämlich nicht so, dass man denkt, die sind so erfahren, die müssen das selber hinkriegen, oder?
Das ist ja nicht nur im Fußballgeschäft so, sondern überall. In einer Firma gibt es auch mal Phasen, wo es nicht läuft. Da spielen so viele Dinge eine Rolle. Ich habe mich in den letzten Wochen physisch auch nicht gut gefühlt. Das werde ich nie als Ausrede nutzen, aber wir sind keine Roboter. Du darfst es nur nicht akzeptieren. Dann muss sich jeder Einzelne hinterfragen. Mach ich alles richtig? Wo kann ich Dinge besser machen? Dafür ist dann auch das Trainerteam da, die uns sagen, wo wir noch Dinge besser machen können.
„Das macht mich stolz, dass ich ein Lied von den eigenen Fans bekommen habe.“
Und wenn es dann mal wieder besser läuft, singt die Südkurve das Arjen-Lied. Hast du das selbst schon mal irgendwo gesungen?
Mhhh … weiß ich jetzt gar nicht. Das macht mich natürlich auch stolz, dass ich so ein Lied von den eigenen Fans bekommen habe und es war für alle ein besonderer, schöner Moment. Nicht nur für mich, sondern für die Fans, den Verein – mit dem Triple-Jahr und dem Siegtor in letzter Minute, das bleibt für immer. Jeder kleine Junge, der jetzt spielt, der träumt von sowas. Wenn das dann passiert, ist das natürlich Wahnsinn!
Wer war der beste Fußballer, mit dem du je gespielt hast? Abgesehen natürlich von Philipp Lahm, weil das ja die offensichtliche Lösung wäre.
Das kann ich nicht sagen (lacht). Aber es ist für mich ein großes Privileg, dass ich mit so vielen guten Spielern zusammenspielen durfte. Auch in der Nationalmannschaft, als ich 2004 anfing, da habe ich – das waren für mich noch die großen Jungs – mit Spielern wie Seedorf, Davids, Kluivert, de Boer, van Nistelrooy zusammengespielt. Und danach ging es weiter mit meiner eigenen Generation. Jungs wie Wesley Sneijder oder auch bei Madrid, bei Chelsea – ich kann da drei, vier Mannschaften zusammenstellen und die sind alle top, glaube ich.
„Dann schreibst du Autogramme, anstatt mit deinen Kindern die Seelöwen im Tierpark anzuschauen.“
Du sagst ja immer, dass du den Hype um dich herum ausblenden möchtest. Wie gelingt dir das und geht das überhaupt?
Ich kann das schon, aber für andere ist das schwieriger. Egal wo du bist, Leute wollen etwas von dir – Fotos, Autogramme, da wirst du natürlich dran erinnert. Aber wenn ich nach Hause komme, dann bin ich Vater und ein ganz normaler Mann. Ich mach da auch mein Ding. Popstars sind für mich Sänger und wir Fußballer spielen Fußball, das ist Sport. Ich bin mir aber schon bewusst, dass Fußball in Europa der Sport Nummer Eins ist. Da gehört das dazu. Ich versuch damit normal umzugehen und wenn die Leute etwas wollen, dann versuche ich da etwas zu machen. Das geht aber nicht immer. Wenn du einen Ausflug mit der Familie machst und dort viele Leute sind, dann sage ich auch manchmal, dass es nicht geht. Wenn du dann mit einem anfängst, dann schreibst du eine Stunde Autogramme, statt mit meinen Kindern die Seelöwen im Tierpark anzuschauen. Meistens akzeptieren die Leute das auch. Es gibt aber immer welche, die sagen, dass der arrogant ist. Ja, dann tut mir das auch leid.
Was hast du durch deine Profikarriere verpasst?
Ich glaube, man hat schon was verpasst, aber das musst du dann nachholen. Der Fokus liegt auf Fußball und du lebst wie ein Profi. Wie du lebst, wie du isst, wie du schläfst. Dadurch vermisst du auch Dinge. Am meisten habe ich so einzelne Momente mit der Familie und mit den Kindern verpasst. Und das ist, ich will nicht sagen schmerzhaft, aber das spielt natürlich jetzt auch am Ende meiner Karriere eine Rolle, wenn es darum geht, wann ich aufhöre. Und ich habe schon viel verpasst. Die Kinder werden ja auch so schnell älter.
Es gab ja jetzt dieses Konzept einer Super League. Würde es den Wettkämpfer Arjen Robben auf rein sportlicher Ebene reizen, jede Woche gegen die Top-Mannschaften der Welt zu spielen oder könnte sich das irgendwann abnutzen?
Ich weiß nicht, ganz ehrlich. Ich habe das mal irgendwo gelesen, aber ich habe mir nie seriös Gedanken darüber gemacht. Vielleicht auch, weil es noch nicht kommt oder noch nicht sicher ist, ob es überhaupt kommt. Einerseits kann man natürlich sagen, dass es in so einer Liga immer Spiele auf hohem Niveau gibt. Andererseits hat die Bundesliga, die englische, die spanische Liga auch ihren Charme und das muss so bleiben. Deshalb ist die Champions League etwas ganz Besonderes. Aber das sage ich wirklich ganz spontan, ich habe darüber noch nie seriös nachgedacht.
Danke, Arjen!
Nichts zu danken!