Was lasse ich mir als Fan und Vereinsmitglied noch bieten? Wann ist meine Geduld zu Ende? Wie lange überwiegt noch der Spaß am Spiel des FC Bayern, die Lust auf schöne Spielzüge, die Freude über Titel? Wie lange kann ich noch die dunkle Seite des Spiels ausblenden, während in der Allianz-Arena die Lightshow den Auftritt der Gladiatoren inszeniert? Wie lange erlaube ich mir noch die Schizophrenie, am einen Abend empört und geschockt das Buch Football Leaks zu verschlingen und am nächsten Abend James zu feiern, der von dem „Steueroptimierer“ Nr 1 im Weltfußball vertreten wird? Wie lange bejubele ich Multimillionäre noch dafür, dass sie ihre absurd überbezahlte Arbeit verrichten, während selbst mir Gutverdiener die Sitzplatztickets zu teuer werden?
Das seit dem ersten Trainingslager 2011 bestehende Katar-Engagement wird bis mindestens 2023 bestehen bleiben. Das steht seit dem heutigen Tag fest. Denn so lange reicht mindestens der Vertrag mit Qatar Airways, die den Platzhaltersponsor Doha Airport ablösen. Diese 12 Jahre mit offenem Ende sind jetzt schon das große dunkle Kapitel in der Geschichte meines Vereins. Ein Schatten, der sich auf all das positive soziale Engagement legt, für das der FC Bayern auch steht. Daran ändert auch nicht das zweifellos vorhandene Bemühen des Clubs um wenigstens minimale Verbesserungen bei den Menschenrechten, Frauenrechten, Arbeiterrechten. „Wären wir nicht in Katar, würde sich doch kaum ein Bayernfan für die Menschenrechtslage dort interessieren.“ wurde mir bei einem der Gespräche gesagt, die ich in den letzten Jahren mit den Vereinsbossen geführt habe. Danke für die Rolle des Buhmanns, die der FC Bayern im Tausch für schnöden Mammon übernimmt, um die Augen der hiesigen Fans auf die Menschenrechtslage in Katar zu lenken. Aber dieses Argument zieht nicht über ein Jahrzehnt. Lieber FC Bayern, wir kennen jetzt Katar, wir finden es schlimm was dort passiert, wir differenzieren sogar bei der Beurteilung mancher Details vor Ort. Danke für die Aufklärung, Ihr habt Euren Job erledigt. Können wir bitte nächstes Jahr in ein anderes Land zum Trainingslager reisen? Shut up, Naivling.
Die Menschenrechtslage ist ja nicht mal das einzige, was Katar in meinen Augen zum No-Go-Partner für einen Fußballclub macht. Schon vergessen? Die FIFA WM 2022 Trademark wurde durch Korruption von Katar gekauft! Die entscheidende Stimme kam von Michel Platini, der laut Blatter auf Druck von Sarkozy nicht für die USA, sondern für Katar stimmte. Vermutlich, weil Frankreich auf gute Geschäfte und politische Deals mit Doha aus war. Will man nicht Teil dieser schmierigen, verlogenen, gierigen Fußballmafia sein, von Uli Hoeneß im Jahr 2011 zurecht aufgrund der korrupten WM-Vergabe als „Saustall“ bezeichnet, den man „ausmisten“ müsse, kann man doch nicht 12 Jahre lang – länger als viele Ehen halten – mit der 2022er Braut der FIFA ins Bett steigen!
Und dennoch werde ich im Sommer wieder meinen Mitgliedsbeitrag entrichten. Zum 20. Mal in Folge. Weil wegbleiben nach wie vor keine Option für mich ist. Weil ich in den letzten Jahren erlebt habe, dass die Mitgliedermeinung gehört wird und an manchen Stellen auf Vereinsseite zum Nachdenken führt. Man darf das Feld einfach nicht denjenigen überlassen, denen die Vereinspolitik wurscht ist. So lange Titel, Tore und Triumphe geboten werden. Die Stimme erheben, auf Missstände hinweisen, keine Ruhe geben ist verdammt wenig, was man als einer von 290.000 tun kann. Aber – auch heute noch – besser, als zu resignieren.